Tägliche Texte
Sommerliche Farbreihen
Ich gehe jetzt…und lasse mein Sehnen vom schaukelnden See umspülen…
Sommersonntag nach dem Regen, gehe ich in den Wald
Boden dampft. Knisternd, knackend: Der Tritt auf dünnem Teppich aus kleinen Ästen: Nadeln bräunen sich, schon vor der Zeit, im feuchten Moos.
Moderstämme lagern dumpf im Pilz. Kein Mensch, kein Weg.
Schlamm in Pfützen. Sie sind Spiegel der Nässe, in Erde geschnitten. Sie stellen blitzend den Himmel zur Schau aus. Sie sind Wiederholungstäter. Der ganze Weg ist voll von ihnen! Tritt bloß nicht in eines der Gemälde hinein!
Sonne, deren behutsame Nachregenstrahlen werfen Gitter aus dünnen Stämmen in ihre eigenen Schatten. Das schmerzt. Manchmal. Schlanke Rhythmen steigen da hoch. Ganz hoch! Und noch höher träufelt Geometrie herab.
Denn: Ganz oben zerschneiden segelnde Kolibris die Wolken. Wie immer, nach dem sehr nassen Wetter und zwischen den noch dunklen, schwimmenden Wolken, singen sie schon wieder etwas völlig neues. Etwas, das noch keiner gehört hat. Aber ich. Ich höre es! Ich spüre ihr nasses Regenhaus.
Quellkühl, wie steinerne Aquamarine, glitzern türkise Vanillen auf dem Wasser. Die duftenden Schönen der Erde, die ich leichtfüßig, so im Vorbeigehen, schaue.
Sie, die Bewunderten, wachsen noch immer an Rändern von Bächen, die noch nicht so grünmündig zerknickten, wie die Mythen und Märchen, mit denen man kleine Kinder schon früh im Leben belügt.
Ich denke daran, wie willig ein weiches Dotterblumengelb sich in hellgrünes Aquarell bettet. Ohne Arg tut es das und ohne auch nur die kleinste Sorge, dass es jemals vertrocknen könnte.
Ich weiß: Es tut es mutig. Es möchte später mal ein leuchtender Grünkristall werden. Nur jetzt noch, in der Kindheit, ist es von gelber, von schönster gelber Farbe.
Mein Auge sieht auch immer wieder dieses Schillern. Perlen. Und es flimmert fein. Nenn es: „Flimmerblau“
Oder sag dazu: „ Es ist ein Samtpantoffelseidenrot“.
Wenn man es berührt, zerfließt es dir zwischen den Fingern. Manchmal tropft es Dir auf Dein Kleid. Und es lässt sich niemals mehr wieder herauswaschen. Das möchte man auch nicht, denn es ist ungeheuer kostbar.
Meine Gedanken fangen gerade so ein hübsches Rot ein. Ein so rotes Rot, wie das noch nie jemand gesehen haben kann. Keiner, der je gelebt hat, konnte jemals ein so rotes Rot gesehen haben. Aber ich! Ich durfte das schonmal sehen. Glaub mir mal: Das ist Liebe!
Das, was noch nicht blüht, wächst hier. Es ist etwas, das ich nicht kenne. Dafür finde ich aber unser gestriges Notenblatt im Gras. Nassgeregnet ist es und die Tinte verlief zu Tränen. Trotzdem. Von diesem wasssernassen Blatt singe ich ein Liebeslied ab. Ja, ich kann vom Notenblatt absingen.
Das klingt leise und fein, weil meine Stimme altersdünn wurde. Silbern, wie meine greisen Haare. Zwischen meine Fingerkuppen spanne ich, gleich einer Spinne, die Geigensaiten dazu auf.
Als lägen feine Fäden von reiner Seide auf kleinen Instrumenten. Jetzt sind meine Hände Geigen, Gamben, Harfen und Gitarren. Eine Laute ist auch dabei. Und da, direkt am kleinen Finger, auch noch eine Ukulele!
Zimbeln sitzen auf den Zweigen über mir. Im Geäst hängen schwere Tropfen. Wusstest Du, dass Glocken auf Bäumen wachsen?
Im Wald. Atme doch jetzt noch nicht allzu tief ein,- der Mückenschwarm über dem schwankenden Steg verliert sonst seine Form und du musst Mückenrauch aushusten. Zum Durchatmen ist es jetzt noch viel zu früh!
Da schwebt das Insektenspiel am Ufer und über den Wellen und über alle Wasser des Baches. Ein Blatt, schwimmend gefangen in der Wasserhaut. Leise ruft es nach Hilfe.
Ich finde die Tage ölig. In vielen Farben schmieren sie in der Pfütze den Himmel zu. Mit hoher Geschwindigkeit vergeht so die Zeit zwischen Sommer und Sommer. Viel, viel zu schnell!
Hier liegen noch Reste vom Laub aus dem letzten Herbst am Boden. Einfach hier liegen gelassen! Vergessen von diesem verirrten Winter, dass er sie nicht hat modern lassen können und sie in die Erde zurückgeholt hätte. Auch die Jahreszeiten machen Fehler.
Noch winzig und zierlich sind kleine Eichenknospen an den Ästen. Die hängen über den tausend Jahre alten Stämmen. Noch sind sie frühsommergrün. Doch, ja, die Anemonen haben sich schon überzählig versammelt. Sie drängen dazu, dass sie armevoll verschenkt werden wollen.
In tausend und einer Nacht erfüllt sich ein alter Traum: Im Grün eines Wipfels deckt dickes Moos die Zweige zu. Der Baum scheint tief zu schlafen. Wo sind seine frühen Blätter? Hat er versäumt, sie wie junge Schafe auf die Weide zu treiben?
Wenn der Baum tief schläft, sieht er sich eingehüllt in ein Blütenkleid. Solche Andachtsmomente suchen Menschen ewiglich. Vielleicht war es früher immer so, dass wir, zusammen mit den Bäumen, träumten?
So bist du, Sonnensommer. Und ich liebe dich. Ich liebe dich so sommersanft, schweigend. Mitte Juli ist´s und bald kommt die Stille der letzten Sommernacht.
Wunder sind frühmorgens im Tau zu finden. Alle Farben die es gibt, leuchten. Sie sind Sonnenfedern. Und in allen Blüten liegt süßer, schwerer, tropfenroter Honig für uns bereit. Die Zeit drängt. Knospenschnee fällt vielleicht schon bald und dann wird es kalt um uns herum.
Sags mir! Und wenn du es weißt, dann leg Deine Antwort auf meine geschlossenen Lider. Ich werde nicht weinen.
Als die Liebe ging, hat sie alles mitgenommen. Nur mich nicht.
Flaum auf meinem Gesicht hast Du hinterlassen in diesem einen Sommer. Du hattest gesagt, Du könntest mein Gesicht nicht mehr ertragen. Nein, Flaum war es doch nicht. Bei näherem Hinsehen habe ich bemerkt, dass es wohl Schimmel sein mag, oder vielleicht ein Nebel? Dann war es aber doch Dein Ruch, den Du mir dort als Malzeichen hinterlegtest.
Bäumerauschen: „Und dann flüstern wir ihnen die Namen zu, die wir haben wollen, ohne dass sie es bemerken, dass wir es sind, die die Pflanzen mit Namen zeichnen“… „Die Menschen wissen nichts“!.. „Sie wissen nichts“!.. „Gar nichts!“… „Nur sägen und abholzen!“… “ Das können sie!“… „Ja! Und Müll auf unsere Wurzeln schmeißen“…“Und in der Gegend herum gucken!“…“Und zwischen uns herumbrüllen!“…“Aber schöne Namen ausdenken, das können sie nicht!“…“Nein, das können sie nicht,- haben sie noch nie gekonnt“…“ Müssen wir wieder alles alleine machen!“…“Also, was flüstern wir ihnen zu, wie sie sie benennen sollen?“…“Rosaröschenrillenräuber?“…„Weiße weiche Lieblichschmieger!“… „Zartzerbrechlich Zauselköpfchen“… „Lächelnektars Himmelsjuli“… „Wolkenwohlig Milchlichblümchen“…„Prallergelbes Ballerblau?“ ……Ich höre ihnen zu.Konzertsaalfülle hat mein Wald. Und ich sitze unter diesen schnatternden Bäumen, die meinen, ich könnte ihre Gespräche nicht verstehen…!
Dort, neben dem Schilf lasse ich mein Sehnen vom schaukelnden See umspülen am späten Nachmittag. Zerfahren flackern Sonnenflecken auf dem Wasser. Meine Blicke schwimmen mit den kleinen Wellen dem Abschied voraus. Ich träume, versunken im Teppichgras, meinen Sommer mir zu einem dunklen, sehr tief dunklen, Juliblau. Ich wußte bislang noch nicht, dass Blau eine Sommerfarbe sein kann.
Weht am Himmel oben warmer weißer Schaum vorüber? Nimmt mein Denken an Dich mit sich, von mir fort. Die Farben sind in diesem Jahr verdünnt. Sie fließen ein in die Dämmerung und tauchen in die Dolden ungenau erkennbarer Wiesenblumen. War das jetzt eine Erinnerung an Dich? Sie verlöscht langsam, aber liebevoll lächelnd.
Daher kommen sie getanzt und singen. Und singen: „Düfte müssen Lüfte Küssen“
Von den vielen Sonnen unserer Zeit haben wir zu viele Schattenspiele eingesammelt. Und nun werfen sie aus den Städten den, bis jetzt noch mühsam zurückgehaltenen, erhitzten Lärm trockener Straßen in unsere schönen grünen Wiesen.
Durchdringt mein kostbares Leben den lieben Wald. Geht an den vielen Bäumen vorbei und durch das Gestrüpp mit den Stacheln und Dornen. Dabei reiße ich doch, ich flüchtiges Sommerkind, ich reiße mich blutig an diesen Sträuchern.
Zwischen den frisch gesägten Stämmen meiner Bäume will ich zu ihnen noch ein Adieu sagen. Diese Geliebten liegen sterbend am Boden. Ich habe nicht genug Stimme, um die vielen Hinterbliebenen und Trauernden um mich herum zu trösten.
Und du,– ich denke dir und mir den grünen Wald frei!
Blüht es doch in mir, die ich eine Insel bin. Die schwimmt auf warmem Wasser. Da schlafen wir dahin, schöpfen den krausen Locken der Wellen aller Meere die Krönchen von oben ab, ohne, dass sie weniger werden könnten.
Satt sind wir nur von der Sehnsucht nach erlösendem Regen in Zeiten mit einer heißen Sonne. Am Sommersonntag, abends nach dem Wald, gehe ich in die Stadt.
Auf den Gehwegplatten gezeichnet: Ein Kinderspiel. Zum Hüpfen. Ich schreibe mit Kreide an die Mauerwand: „Ich liebe dich Sonne, dich rote Ziegelfarbe“. Und mit einem Rötelstein schreibe ich: „Ich ritze dein vertrautes Gesicht in die Rinde eines Baumes.“ Das schreibe ich aber nur. Dem Baum tue ich das nicht an.
Lachen. Wusstest du, das die Sonne rund ist? Das haben wir doch damals erkannt und uns das in bröckelnde Mörtelschicht eingeritzt. Du mit Tinte und ich mit Farbe. Und auch meinen Wald. Der war dabei, als wir das schrieben.
Du sagtest: „ ich bringe für uns ein schnelles Sommerleichtgrün mit“. Ich fragte: „ meinst du das, welches fliegen kann wenn man will ?“ Deine Antwort weiß ich nicht mehr,- kann sein, dass ich sie gerne vergaß.
So soll jeder Mensch in die Straßen der Stadt einmal in seinem Leben hinein rufen: „Ich Funkelrotkind, ich lebe alles mit Farbe voll!“ Man soll das rufen, damit man sagen Kann: “ ich habe gelebt!“ Sonst hat man gewiss niemals existiert, wenn man das nicht einmal gemacht hat in seinem Leben!